
Überall auf der Welt wird derzeit des Kriegsendes vor 70 Jahren gedacht. An vielen Orten in Deutschland erinnern auch Stadtoberhäupter an das Kriegende, halten Ansprachen an Mahnmälern und legen an Gedenkstätten Kränze nieder. Nicht so in Weißenburg – so lautet jedenfalls die Kritik des „Landkreisbündnisses gegen Rechts“, anlässlich einer Gedenkveranstaltung auf dem „Russischen Friedhof„.
Aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus hatte das Landkreisbündnis gegen Rechts Weißenburg-Gunzenhausen zu einer Gedenkveranstaltung auf dem Russischen Friedhof aufgerufen. Seit zehn Jahren versammeln sich hier zum 8. Mai Menschen, um an der Gedenkstätte an den „Tag der Befreiung“ zu erinnern.
- Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus auf dem Russischen Friedhof.
Keine offizielle Gedenkveranstaltung
In seiner Gedenkansprache kritisierte der Sprecher des Landkreisbündnisses, Erkan Dinar, dass selbst zum siebzigsten Jahrestag des Kriegendes an diesem Ort keine offizielle Gedenkveranstaltung stattfindet. Seine Bitte, hier eine Veranstaltung der Stadt Weißenburg durchzuführen, habe der Oberbürgermeister der Stadt Weißenburg mit Verweis auf den Volkstrauertag nicht entsprochen, so Dinar, der zugleich im Weißenburger Stadtrat die Partei Die Linke vertritt.
Auf dem Friedhof sind russische Kriegsgefangene beerdigt, die im Zweiten Weltkrieg während ihrer Internierung auf der Wülzburg ums Leben kamen. Wir dokumentieren nachfolgend seine Ansprache:
Dokumentation:
Ansprache von Erkan Dinar, Sprechers des Landkreisbündnis gegen Rechts, am 8. Mai auf dem Russischen Friedhof in Weißenburg aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus.
Der 8. Mai 1945 war der Tag, an dem das Unmögliche möglich wurde:
“Das ist der besagte Tag, Jungs, er ist angebrochen für alle von Newberryport/USA bis Wladiwostok/Sowjetunion”, die sich überschlagende Stimme des amerikanischen Soldaten schrie diese Worte in der Radiosendung des CBS in der Nacht des 8. Mai 1945. “Ja, das war der wichtige Tag, der überragende Tag, der Tag des Sieges in Europa.
Nie im Leben habe ich so viele Menschen geküsst … Gitarren wurden hervorgeholt …. die Russen sangen amerikanische Lieder…
„Nie im Leben habe ich so viele Menschen geküsst“
Das Fest begann schon Ende April in den kleinen Städten und Dörfern an beiden Ufern der Elbe. Das Herz lenkte den Verstand der amerikanischen Soldaten, als sie ihren Befehl brachen und die ihnen als Patrouille zugewiesene Fünf-Meilen-Zone verließen auf der Suche nach den Russen. “Nie im Leben habe ich so viele Menschen geküsst”, erinnert sich der US-Soldat Ben Kasmir, “wir tranken auf das Treffen, Gitarren wurden hervor geholt. Die Russen sangen amerikanische Lieder. Mit uns feierten befreite Insassen eines Zwangsarbeiterlagers.”
Entsetzliche Schicksale, zerstörte und zerrissene Familien. Tote Kinder, Mütter, Väter…
Tote Kinder, Mütter, Väter
1945, als am 8.Mai endlich die Waffen schwiegen, war die erschreckende Bilanz 60 70 Millionen tote Menschen. Umgekommen auf den Schlachtfeldern, in Luftschutzbunkern, Arbeitslagern, Gaskammern, verfolgt, ermordet, vertrieben. Unzählige tote Widerstandskämpfer, Sinti und Roma, Kommunisten, Christen, Katholiken, Sozialdemokraten, Homosexuelle, Behinderte. Sechs Millionen Juden sind der Schoa zum Opfer gefallen. Großbritannien verzeichnete 388.000 tote Soldaten und Zivilisten, Frankreich 810.000, die USA 259.000, die Sowjetunion 25 Millionen, davon 16 Millionen Zivilisten, Polen sechs Millionen, die Niederlande 210.000, Italien 410.000, Deutsch- land/Österreich sieben Millionen, 14 Millionen Zwangs-, Fremd-, und Gastarbeiter – viele von ihnen starben. Von 12 Millionen Vertriebenen starben 2,3 Millionen. Dazu entsetzliche Schicksale, zerstörte und zerrissene Familien. Tote Kinder, Mütter, Väter.
Ein schweres Erbe unserer Vorfahren, welches nicht wieder gut zu machen ist. Keiner erwartet von uns, dass wir auf ewig ein Büßerhemd tragen, doch meine Generation und die folgenden müssen mit dieser Vergangenheit leben, ihr in die Augen schauen, um nicht blind für Gegenwart und Zukunft zu sein.
Das alles hätte es nicht gegeben, wenn es den 1. September 1939 und den 30. Januar 1933 nicht gegeben hätte. Der 8. Mai ist nicht vom 1. September zu trennen.
Rechte Szene: Verhöhnung der Opfer des NS-Regimes
Und doch gestaltet sich der Umgang mit dem historischen Datum in Deutschland bis heute schwierig. In der rechten Szene wird der Tag für Aufmärsche genutzt, die häufig mit der Verhöhnung der Opfer des NS-Regimes einhergehen und einer faschistischen Mythenbildung dienen. Neonazis, Burschenschaften und andere konservative Kräfte verbinden den Tag nicht mit dem Gedanken an Befreiung, sondern mit der deutschen Niederlage und all ihren Folgen: Vertreibung, Besatzung, deutsche Teilung, Verlust von Heimat. Das alles hätte es jedoch nicht gegeben, wenn es den 1. September 1939 und den 30. Januar 1933 nicht gegeben hätte. Der 8. Mai ist nicht vom 1. September zu trennen. In ihm lagen die Grundlagen des Werdegangs der folgenden Geschichtsschreibung.
Erich Kästner schrieb: Die Erinnerung ist eine mysteriöse Macht und bildet die Menschen um. Wer das, was schön war, vergisst, wird böse. Wer das, was schlimm war, vergisst, wird dumm.
- Gedenkstele aus Jurastein: sie symbolisiert die drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam, denen die Inhaftierten angehörten.
Ein Teil der Bevölkerung will sich nicht erinnern.
Jedoch: ein Teil der deutschen Bevölkerung will sich nicht erinnern. Will nicht vom Faschismus und starker Führung, sondern von der Schande und von der Erinnerung daran befreit sein. Wie aber soll diese Befreiung möglich sein, wenn die Erinnerung erst gar nicht zugelassen wird.
Wie soll Befreiung möglich sein, wenn die Erinnerung nicht zugelassen wird.
70 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges äußert in einer Umfrage jeder zweite Bundesbürger, er wäre “es leid, immer wieder von den deutschen Verbrechen an den Juden zu hören”.
Der Rassismus der NS-Diktatur richtete seine menschenvernichtende Ideologie gegen viele Gruppen: Arme, Arbeitslose, gleichgeschlechtlich Liebende, behinderte Menschen, Ausländer, Sinti und Roma, politische Gegner des Systems. Und heute finden wir wieder eben jene Ressentiments. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ (Bertold Brecht)
Erinnerung wach halten
Und gerade darum sind wir verantwortlich, die Erinnerung an die Verbrechen der Vergangenheit wach zu halten und der Nachwelt aufzuzeigen, wie es damals gewesen ist, wie es dazu kommen konnte, damit künftige Generationen daraus lernen können und begreifen, dass Hass und Gewalt Hass und Gewalt nach sich ziehen.
Es war ein langer Weg, den die Deutschen zurücklegen mussten, um begreifen zu können, dass die deutsche Niederlage ein Tag der Befreiung war.
Die deutsche Niederlage war ein Tag der Befreiung
Es war ein langer Weg, den die Deutschen zurücklegen mussten, um begreifen zu können, dass die deutsche Niederlage ein Tag der Befreiung war. Der 8. Mai ist noch immer die wichtigste Probe für unsere Fähigkeit und Bereitschaft, sich mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen, sie anzunehmen.
Der 8. Mai ist in Deutschland bisher nur im Land Mecklenburg-Vorpommern ein gesetzlicher Feiertag
Der 8 Mai sollte ein gesetzlicher Feiertag sein
70 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation, 45 Jahre nach dem Kniefall Willy Brandts in Warschau, 30 Jahre nach der Rede von Richard von Weizsäcker zum 8. Mai, 25 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands, elf Jahre nach der Bitte der UNO, den 8. und 9. Mai gebührend zu begehen, ist dieser Tag in Deutschland bisher nur im Land Mecklenburg-Vorpommern ein gesetzlicher Feiertag und dies, obwohl über alle Partei- und Ländergrenzen hinweg sich doch alle einig sind über die Bedeutung dieses Tages, diese befreiende Zäsur in der Geschichte, ganz besonders der deutschen Geschichte!
Bald leben keine Zeitzeugen mehr …
Wir müssen endlich und auch offiziell dazu stehen und die Verantwortung dafür übernehmen, dass nie wieder solch unermessliches Leiden von unserem Land, von keinem Land ausgeht! Nicht nur, aber vor allem auch für die Jugend ist dieser Tag von Bedeutung. Auch sie brauchen den 8. Mai, der eine Erinnerung ermöglicht, die sie, uns und andere schützt. Auch vor dem Hintergrund, dass bald keine Zeitzeugen mehr leben. Ein Tag gegen das Aufblühen rechter Gesinnungen und Kräfte, gegen die Angst vor neuen Kriegen. Ein Tag für die Erinnerung, für Aufklärung, für Geschichtskenntnis, Ursache und Folgen, ein Tag für den Frieden.
Gräberreihen auf dem Russischen Friedhof in Weißenburg
Die Gräberreihen auf dem Russischen Friedhof in Weißenburg, welche Sie hier sehen, haben direkt mit der Wülzburg und dem dortigen Internierungslager während des 2. Weltkriegs für Zivilisten zu tun. Die Mehrzahl von ihnen waren russische Handelsmatrosen, deren Schiffe sich bei Kriegsausbruch in deutschen Häfen befanden. Aufgrund der schlechten Haftbedingungen und der Zwangsarbeit kamen mindestens 38 von ihnen ums Leben und wurden hier auf dem Gelände des ehemaligen Fallgartens unwürdig verscharrt. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden hier die Überreste von Tieren, denen man zunächst im Fallhaus die Haut abgezogen hatte, vergraben. Da man die Zwangsarbeiter nicht auf dem gemeindlichen Friedhof bestatten durfte, wurde dieses Areal zugewiesen.
Der Russische Friedhof verschwand nach dem Krieg weitgehend aus dem Bewusstsein der Weißenburger und wurde von der Natur zurück erobert.
Friedhof verschwand nach dem Krieg aus dem Bewusstsein
Der Friedhof verschwand nach dem Krieg weitgehend aus dem Bewusstsein der Weißenburger und wurde von der Natur zurück erobert. Erst als mit dem Zusammenbruch des Ostblocks eine Gruppe ehemals inhaftierter Russen die Gräber besuchen wollte, veranlasste die Stadt Weißenburg 1989, die Anlage zu einem Mahnmal umzugestalten. Heute finden sich drei mit Blumen bepflanzte Gräberreihen und 40 kleine Kreuze auf dem Friedhof.
Leider ohne Teilnahme der Stadt Weißenburg.
1995 wurde die dreieckige Gedenkstele aus Jurastein aufgestellt. Sie symbolisiert die drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam, denen die Inhaftierten angehörten. Bereits seit 10 Jahren treffen sich auf diesem Gelände zum 8. Mai eine kleine Schar von Nazi-Gegner/innen, um dem Ende des 2. Weltkriegs zu gedenken. Leider ohne Teilnahme der Stadt Weißenburg. Meiner Bitte vom letzten Jahr, hier doch eine offizielle Veranstaltung der Stadt Weißenburg durchzuführen, hat der Oberbürgermeister der Stadt Weißenburg Jürgen Schröppel leider nicht entsprochen. Er verwies in einem Gespräch darauf, dass die Veranstaltung am Volkstrauertag doch genügen müsse. Ich finde, sie genügt nicht!
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